FÜNF DOLLAR FÜR EINE STIMME

30. Januar 2014

 

Ein Bus voller Politiker fährt eine Landstraße entlang. In der Nähe eines Dorfes kommt der Bus von der Straße ab und kracht gegen einen Baum. Ein Bauer, der auf dem nahen Feld gearbeitet hat, begräbt die Politiker. Ein paar Tage später fragt ein Polizist den Bauern: „Hat niemand überlebt?“ „Schon möglich“, antwortet der Bauer, „ein paar haben behauptet, sie seien noch am Leben. Aber wir wissen doch beide, wie Politiker lügen.“

 

Anfang April wählen die Afghanen einen neuen Präsidenten – vielleicht sollte man das sehr genau formulieren: Es wird erst eine Wahl geben. Und dann einen neuen Präsidenten. Journalisten berichten, dass bereits Stimmen verkauft werden, für 5 Dollar das Stück und mehrere Kandidaten sind ehemalige Warlords. Trotzdem hoffen viele Leute, mit denen ich spreche, eine neue Regierung könnte es besser machen. Allein, weil sie neu ist; weniger festgefahren und vielleicht nicht ganz so korrupt.

 

Von Karsai sind alle, die ich kenne, enttäuscht.

 

Besonders, seit er sich hartnäckig gegen Obama stellt. Die beiden Präsidenten verhandeln seit Monaten ein Truppenstatut, damit auch nach 2014 noch US-Soldaten im Land bleiben. Obama will, dass seine Soldaten nach amerikanischem Recht bestraft werden, sollten sie Verbrechen begehen – und nicht nach afghanischem. Karsai will eine Garantie dafür, dass die Amerikaner nachts nicht mehr die Häuser Verdächtiger stürmen. Besiegelt werden soll das Ganze in einem bilateralen Sicherheitsabkommen (BSA). Egal, wen ich derzeit treffe, irgendwann dreht sich das Gespräch um das BSA. Ein Geschäftsmann sagt, falls Karzai nicht unterzeichne, würde er nur noch in Dubai investieren.

 

Mitte November versprach Obama in einem Brief an Karsai etwas schwurbelig, er werde „die Heiligkeit und Würde der Afghanen in ihren Häusern und in ihrem Alltag achten, genau wie wir es mit unseren eigenen Bürger halten."

 

Etwa zur gleichen Zeit drohte der Präsident der Stammesversammlung, Mujaddidi, er werde auswandern, wenn Karsai das BSA nicht endlich unterzeichne. Karsai weigerte sich und Mujaddidi hat jetzt das Land verlassen.

 

Dann fanden die Amerikaner plötzlich, Karsai müsse gar nicht persönlich unterschreiben. Irgendein Regierungsmitglied würde genügen.

 

So sehr die Experten im Westen glauben, dass Karsai den Vertrag früher oder später unterschreiben wird, so sehr fürchten meine Bekannten, er könnte hart bleiben. Sie haben Angst, dass die Welt Afghanistan dann vergessen könnte: weniger Hilfsgelder, weniger NGOs, weniger Investoren.

 

"Was denkst du über Politik?" frage ich einen Künstler, nachdem er mir fast eine Stunde erzählt hat, was anders laufen sollte in Afghanistan. Er ist 25 Jahre alt und designt Grafiken: Ein Junge, der ein rotes Herz im Schubkarren schiebt, ein Taliban-Kämpfer mit Rockgitarre, eine Burka, aus der Friedenstauben flattern.

 

„Die Politik? Das sind doch alle Lügner. Die tun so als würde ihnen unser Land gehören, ich will nichts mit denen zu tun haben, nicht mal mit ihnen an einem Tisch sitzen.“

 

"Und wenn du doch mit ihnen an einem Tisch sitzen würdest - was würdest du ihnen sagen?"

 

„Ihr seid schuld daran, dass wir Jungen es heute so schwer haben. Ihr habt unser Land zerstört. Ich hasse Politiker.“

 

„Was ist mit Karsai?“

 

„Den liebe ich.“

 

Ich muss lachen. Es ist das erste Mal, dass jemand, mit dem ich spreche, nicht über den Präsidenten schimpft. Aber der Künstler meint es ernst.

 

„Wer weiß schon, was nach ihm kommt. Wenn du mich fragst: irgendwann werden die Leute Karsai noch hinterher trauern.“